Worum es geht
In diesem Blogbeitrag schildere ich meine Erkenntnisse und Eindrücke vom Event Fabrik des Jahres (FdJ) 2022.
Fabrik des Jahres (FdJ) 2022 in Ludwigsburg
Das Event Fabrik des Jahres zählt zu den renommiertesten Industrie-Wettbewerben in Europa. Auf dem Abschlusskongress in Ludwigsburg im Mai 2022 stellten die Gewinner des Wettbewerbs 2021 ihre erfolgreichen Strategien vor und wurden bei der Preisverleihung des Festivals geehrt. Die Gewinner: ABB, Brose Group, Kurtz Ersa, Beiersdorf und Siemens. Doch warum wurden diese Fabriken ausgezeichnet und was bewegt die Führungskräfte dieser Unternehmen?
Wie gewinnt man die Fabrik des Jahres?
Auf den Titel der Fabrik des Jahres kann man sich bewerben. Die Veranstaltung wird von der Unternehmensberatung Kearney und der SV Veranstaltungen organisiert. Alle Bewerberunternehmen erhalten eine detaillierte, vertrauliche Bewertung, die ihnen Aufschluss über ihre Position im Vergleich zu Unternehmen mit ähnlicher Ausgangslage gibt. Die in die engere Wahl gezogenen Kandidaten werden von einem erfahrenen Audit-Team von Kearney vor Ort besucht, gefolgt von einem ersten Experten-Feedback. Schließlich kürt die Jury des Wettbewerbs „Fabrik des Jahres“ den Gewinner. Stiege in bestimmten Kategorien werden an Teilnehmer vergeben, die in jeder Kategorie des Bewertungsmodells herausragende Leistungen oder außergewöhnliche Kreativität zeigen.
Die Themen Nachhaltigkeit, Werteorientierung und Digitalisierung im Mittelpunkt
Vortragende auf der Veranstaltung waren die Gewinner der verschiedenen Kategorien sowie weitere führende Stimmen aus Forschung und Fachmedien. Wenig überraschend war, dass das Thema Lieferkettenprobleme, Digitalisierung und Automatisierung ein Fokusthema war. Hingegen überraschend für mich war, wie stark der Aufruf zu mehr Nachhaltigkeit war. Dr. Marc Lakner stellte die Nachhaltigkeitsstudie der Unternehmensberatung Kearney mit dem dringenden Aufruf vor, jetzt entschlossen zu handeln. Es würde emotional über Defossilisierung von Fabriksystemen (Robert Bosch GmbH, Fraunhofer) und Co2-neutrale Produktion sowie Zirkularwirtschaft (Prof. Schuh, RWTH Aachen) gesprochen.
Alle Gewinner-Teams verbindet zudem eine Eigenschaft: Ein enormer Team-Gedanke. Siemens Karlsruhe hat eigens ein Programm „Factory2be – Der Mensch im Mittelpunkt“ ins Leben gerufen und die Keynote wurde mit einem Achtsamkeitstraining begonnen. Das Motto: „Erst durch den Menschen wird unsere digitalisierte Fabrik intelligent“. Auch Beiersdorf, Kurtz Ersa und Co beeindruckten durch einen geschlossenen Auftritt und außerordentlich gute Stimmung. Der Fachkräftemangel macht klar, wie wichtig es ist, auf der einen Seite in Weiterbildung und in Work Experience zu investieren. Gleichzeitig ist es aber wichtig, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen, um Mitarbeiter zu halten und zu motivieren. Gemeinsamer Erfolg scheint hier ein Schlüsselelement zu sein.
Neben diesen Kernaspekten habe ich drei weitere spannende Aspekte mitgenommen:
Der KVP wird im Vergleich zu großen Disruptionen bevorzugt (Brose)
Trotz starker Bemühungen wie der Bewerbung der Berufe im Schulkontext sinkt die wahrgenommene Attraktivität der „klassischen Berufe“ wie Mechatroniker oder Zerspanungsmechaniker, während der Bedarf zweistellig prozentual in den letzten 4 Jahren gestiegen ist (Brose)
Die Matrixproduktion ist ein zukunftsträchtiger Ansatz für hohe Produktivität trotz geringer Losgrößen und ist bereits produktiv im Einsatz (Siemens Karlsruhe)
Viel Zustimmung für mehr Vernetzung und Unterstützung der operativen Belegschaft
Als Operations1 hatten wir die Ehre, unsere Plattform als Top 5 nominiertes Start-up in Deutschland im Bereich Produktion vorzustellen. In aller Kürze konnte ich drei Kernaspekte eingehen:
Wo die Diskrepanz zwischen der Vernetzung von Maschinen und der Vernetzung von Mitarbeitern besteht
Wie strategisch wichtig eine Vernetzung der Mitarbeiter in Bezug auf den Fachkräftemangel, den Demographischen Wandel, Lieferkettenprobleme und kontinuierliche Verbesserung sind
Welche unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Vorteile es mit sich bringt, Mitarbeiter in eine digitale Organisation einzubinden und ihnen kontextbasierte Informationen bereitzustellen
Die Diskrepanz zwischen der Vernetzung von Maschinen und Menschen liegt auf der Hand. Selbst 10 Jahre nach der Prägung des Begriffs Industrie 4.0 arbeiten viele operative Mitarbeiter immer noch mit einer Vielzahl an analogen und komplexen Systemen. Statt Informationsflüsse zu vereinen und den Arbeitsalltag der Mitarbeiter zu vereinfachen, ist es der Standard, dass sich Mitarbeiter in 10 Tools gleichzeitig zurechtfinden müssen: Stift und Papier, Handbücher, Implizites Wissen, Drucker, Referenzdokumente, Komplexe ERP-Interfaces, manuelle Sensordaten-Übertragungen, separate Digitalkameras, manuelle Datenbankeinträge, entkoppeltes Task Management, physisches Archiv u.v.m. Hier ist es meiner Ansicht nach essenziell, Informationsflüsse zu vereinen.
Laut einer McKinsey Studie weisen kollaborative Prozesse immer noch 30% Effizienzverluste auf. Effizienzverluste, die gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels schmerzlich sein können.
Welche Rolle spielt des für die großen Herausforderungen produzierender Unternehmen aktuell? Durch die kontextbasierte Informationsbereitstellung und Vernetzung der Mitarbeiter, steigt die Flexibilität von Unternehmen enorm. Was unsere Kunden zeigen ist, dass neue Mitarbeiter deutlich schneller produktiv sind, Mitarbeiter flexibler für unterschiedliche Tätigkeiten eingesetzt werden können und Prozesswissen nachhaltig gesichert wird. Die vermeintliche Eliminierung der „typischen Papierdokumentation“ geht also weit über die Effizienzgewinne hinaus, die durch weniger Dokumentenbearbeitung, Vermeidung manueller Datentransfers und Wegezeiten hinaus geht. Die Vernetzung der operativen Mitarbeiter steigert die Resilienz des gesamten Produktionsbetriebs.
Die unmittelbar messbaren, betriebswirtschaftlichen Vorteile liefern jedoch auch starke Argumente, sich mit dem Thema der vernetzten Arbeit intensiv zu befassen. Bei unseren Kunden messen wir beispielsweise Reduktionen von 60% im Bereich Maschinenstillstandzeiten, siebenstellige Einsparungen durch Insourcing von Instandhaltungsdienstleistungen, einen Rückgang von Fehlerraten um 55% und allein Kosteneinsparungen im sechsstelligen Bereich (siehe Fallstudie Soudronic) durch Eliminierung der Papierdokumentation. Es lohnt sich also.
Was ich besonders spannend finde: Trotz großer Innovationsoffensiven der führenden Fabriken Deutschlands besteht häufig noch eine Diskrepanz, wie dynamisch und „mitarbeitergerecht“ die Systeme vor Ort wirklich sind. Zwar ist der Digitalisierungsgrad häufig schon sehr hoch. Es ist jedoch ein massiver Unterschied, ob PDFs auf einem vertikalen Touchscreen angezeigt werden und der Mitarbeiter durchscrollt. Oder ob eine interaktive, dynamische Lösung im Einsatz ist, über welche der Mitarbeiter kommunizieren kann, Informationen rückmelden kann und durch mediale Inhalte wie Videos reichhaltige Informationen bereitgestellt bekommt.
Digitalisierung ist also nicht gleich Digitalisierung. Es ist meiner Meinung nach essenziell, sich stets neu zu erfinden und nicht aufzuhören, sobald das Papier verschwunden ist.
Fazit
Auf dem Event Fabrik des Jahres 2022 standen die Themen Nachhaltigkeit, Werteorientierung und Digitalisierung im Mittelpunkt und es wurden absolut beeindruckende Unternehmen ausgezeichnet. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Vernetzung und Unterstützung der operativen Mitarbeiter weiterhin ein großes Tätigkeitsfeld bleiben wird. Wichtig hierbei: Mitarbeiterzentriert und pragmatisch vorgehen.
Haben Sie Fragen zur Vernetzung der operativen Mitarbeiter?
Senden Sie uns gerne Ihre Gedanken, Kommentare und Fragen über das Kontaktformular. Wir melden uns gerne bei Ihnen zurück.
Benjamin Brockmann
Benjamin Brockmann (M. Sc., Management & Technology) gründet 2017 gemeinsam mit Daniel Grobe (ebenfalls M. Sc., Management & Technology) die cioplenu GmbH. Die Software-Lösung entwickeln die Gründer auf Basis diverser Praxisprojekte, u. a. am Fraunhofer Institut, und aufgrund ihrer Erfahrungen in der Industrie, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung. Benjamin Brockmann war bereits für Unternehmen wie KPMG und Arthur D. Little tätig.